Plastizität im Verhalten und der Entwicklung ermöglicht es Mistkäfern mit stressvollen Temperaturen umzugehen, sowohl innerhalb einer Generation als auch darüber hinaus

von Anna LM Macagno, Eduardo E Zattara, Armin P Moczek & Cris C Ledón-Rettig

 

Links: Tunnel mit erwachsenem Weibchen; Rechts: Brutball mit Larve

 

 

Der weltweite Klimawandel hat komplexe Auswirkungen, doch generell steht fest, dass globale Durchschnittstemperaturen kontinuierlich und rasch am Ansteigen sind. Klimaveränderungen zwingen Organismen dazu sich auf die eine oder andere Art auf die neuen Bedingungen anzupassen um lokales Aussterben zu vermeiden. Gleichzeitig können die durch den Klimawandel herbeigeführten Umweltveränderungen es für nicht heimische Arten einfacher machen, sich in neuen Habitaten zu etablieren. Die Ankunft solcher invasiven Arten könnte dann zusätzlich mit zu der Belastung der bereits gestressten einheimischen Arten beitragen. Die erfolgreiche Etablierung invasiver Arten hängt dabei unter anderem davon ab inwieweit eine gegebene potentiell invasive Art mit neuen Temperaturbedingungen umgehen kann oder nicht. Ob, und durch welche Mechanismen, Arten sich an neue Temperaturen anpassen können ist deshalb von grundlegender Bedeutung um besser vorhersagen zu können wie sich der globale Klimawandel auf die Artenvielfalt auswirken wird, als auch dessen Einfluss auf die Risiken und möglichen Auswirkungen von biologischen Invasionen.

 

Organismen verfügen über einige Tricks die es ihnen erlauben manchmal erstaunlich schnell auf Umweltveränderungen zu reagieren. Ein solcher Trick ist phenotypische Plastizität, die Fähigkeit fast aller Arten auf die eine oder andere Art und Weise Umweltveränderungen wahrzunehmen und dann entsprechend darauf mit Änderungen in ihrer weiteren Entwicklung, ihrer Physiologie, oder ihres Verhaltens zu reagieren. Plastizität ermöglicht es Organismen zumindest kurzfristig auf neue Unweltbedingungen in einer stressmindernden Form zu reagieren. Gleichzeit hat Plastizität aber auch das Potenzial längerfristig evolutionäre Anpassungsvorgänge zu beinflussen, zum Beispiel durch sogenannte genetic accommodation, ein Prozess bei dem neue, ursprüglich durch Umwelteinflüsse induzierte Varianten über Generationen hinweg genetisch stabilisiert und fixiert werden (mehr Informationen dazu in einem vorangegangenen Beitrag). Plastizität hat also das Potenzial sowohl sofortige ökologisch relevante Anpassung innerhalb einer einzigen Generation herbeiführen, als auch langfristig evolvierte Anpassungen an neue Umweltherausforderungen zu ermöglichen. Jedoch haben es bisher nur wenige Studien geschafft gleichzeitig, und in den selben Arten, diese verschiedenen Dimensionen der Plastizität in der lokalen Anpassung an neue Bedingungen zu ergründen. Ob und wie stark Plastizität in einer Generation daher Merkmale in nachfolgenden Generationen beeinflussen kann, und inwieweit dieser Prozess dazu beitragen kann dass sich lokal isolierte Population voneinander differenzieren, ist daher grösstenteils unbekannt.

 

In unserer kürzlich veröffentlichten Studie im Magazin Oikos (Macagano, Zattara, et al. 2018) erforschten wir diese und ähnliche Fragen mittels der Mistkäferart Onthophagus taurus. Ursprünglich heimisch im mediterranen Klima Europas und Nordafrikas wurde diese Art seit 1970 wiederholt in neue Gebiete eingeführt, entweder aus Versehen wie in den östlichen USA oder aber auch bewusst als Teil eines Projektes um Mist und im Mist brütende Fliegen besser unter Kontrolle zu bringen, wie zum Beispiel im Westen Australiens. Seitdem, und in weniger als 100 Generationen, haben es diese exotischen (nicht-heimischen) Populationen dieser Art geschafft neue und unterschiedliche Klimazonen zu besiedeln. Sie haben sich daraufhin so stark in ihrem Aussehen, ihrer Physiologie, und in ihrem Verhalten auseinander evolviert, wie man es normalerweise nur von nah verwandten Arten kennt. Diese Mistkäferart ist deshalb eine vielversprechende Modelart anhand deren man die frühesten Stadien der Populationsdifferenzierung erforschen kann, als auch die Rolle der Plastizität als potenzieller Katalysator eines solchen Prozesses.

 

Diese Käfer ernähren sich sowohl im Larven – als auch im adulten Stadium ausschliesslich von Mist. Während adulte Tiere aktiv nach Nahrung suchen können sind Larven allerdings komplett davon abhängig was deren Eltern, und vor allem deren Mütter, für sie bereitstellen. Dazu tunneln erwachsene Weibchen im Bodenbereich unterhalb von Misthaufen und bauen dort sogenannte Brutbälle, wohlgestaltete und kompakte Konstruktionen welche jeweils genau ein Ei beinhalten. Der daraus schlüpfenden Larve reicht dieser Vorrat, um die komplette Larvalenwicklung inklusive Metamorphose unterirdisch im Brutball auszuführen. Mütter investieren viel Zeit und Energie ins Graben und Bauen von Brutbällen, und wichtige Anteile elterlichen Aufwands können relative einfach quantifiziert werden, zum Beispiel durch das Messen des Brutballgewichtes oder der Tiefe der Tunnel. Investieren Mütter in heftigere Brutbälle schlüpfen daraus in der Regel auch grössere Nachkommen die selber mehr Eier legen können. Tiefere Tunnel haben auch Vorteile, da sie die Brutbälle, Eier und Larven von den oft drastischen Temperaturschwankungen an der Oberfläche abschirmen. Eine unserer früheren Studien konnte zeigen, dass kürzlich etablierte Populationen dieser Art sehr schnell unterschiedliche bevorzugte Tunneltiefen evolviert haben, was darauf hindeutet, dass dieses Merkmal vielleicht eine Rolle in der Anpassung an neue Umweltbedingungen spielt.

 

In unserer Studie wollten wir vor allem drei Fragen bantworten: (a) ob mütterliche Brutfürsorge (vor allem Tunneltiefe) und/oder die Larvalentwicklung plastisch auf Temperturveränderungen reagieren können; (b) ob solche plastischen Reaktionen adaptiv sind, d.h. Temperturstress reduzieren; und (c), sollte dies der Fall sein, ob sich dann Populationen die unterschiedlichen Temperturbedingungen ausgesetzt sind vielleicht in solchen plastischen Reaktionen auseinander evolviert haben. Dazu verglichen wir die temperaturbedingte Plastizität von Müttern und deren larvalen Nachwuchs von Käfern aus (i) Spanien, wo diese Art heimisch ist, (ii) West-Australien, wo diese Art in den 1970ern eingefürt wurde um die Ansammlung von Kuhmist biologisch zu kontrollieren, und (iii) Nord Carolina, wo diese Art von selbst eingewandert ist nachdem sie 1971 aus Versehen nach Florida eingeschleppt wurde.

 

Wir ermöglichten es Weibchen von allen Populationen unter zwei verschiedenen Temperaturbedingungen Eier zu legen: milde Bedingungen die diese Art bevorzugt, und heisse Bedingungen, die wir mittels einer Wärmelampe über den brütenden Käfern produzierten, um dadurch eine erhöhte Oberflächentemperatur zu erreichen. Über fünf Tage hinweg tunnelten Mütter, bauten Brutbälle, und legten Eier. Wir ermittelten dann das Gewicht und die Tiefe für jeden Brutball, und anschliessend transferierten wir jeden Brutball in eine Brutkammer mit entweder einer milden oder heissen Temperatur für den Rest der Larvalentwicklung. Dies bedeutete, dass wir für jede der drei Populationen Nachwuchs produzierten, der jeweils unter einer von vier verschiedenen Bedingungen aufwuchs: a) geboren und aufgewachsen unter milden Bedingungen, b) geboren unter milden aber aufgewachsen unter heissen Bedingungen, c) geboren unter heissen aber aufgewachsen unter milden Bedingungen, und schliesslich d) geboren und aufgewachsen unter heissen Bedingungen.

 

Am Anfang des Experimentes stellten wir sehr schnell fest, dass Mütter von allen Populationen ihre Brutbälle tiefer vergraben wenn sie heissen Oberflächentemperaturen ausgesetzt waren. Diese Plastizität im mütterlichen Verhalten ist für den Nachwuchs von Vorteil, da Käferlarven die unter heissen Bedingungen heranwuchsen generall kleiner bleiben im Vergleich zu Käferlarven, die unter milden Bedingungen heranwuchsen. Dies ist biologisch relevant, da kleinere Käferweibchen in der Regel im Laufe ihres adulten Lebens sehr viel weniger Eier legen. In der zweiten Phase des Experimentes erlaubten wir dann dem Nachwuchs von jeder Population eine weitere Generation von Larven zu produzieren, diesmal unter ausschliesslich milden Temperaturen. Diese zweite Phase ergab, dass Mütter die auf Grund ihrer eigenen Aufwuchsbedingungen kleiner waren dann auch weniger in ihren eigenen Nachwuchs investieren (selbst wenn die stressreichen hohen Temperaturen fehlen), kleinere Brutbälle produzieren, welche oberflächlicher abgelegt werden, und welche wiederum zu kleinerem Nachwuchs in der darauffolgenden Generation führen. Diese Ergebnisse zeigten, dass selbst einmaliger Temperaturstress über mehrere Generationen hinweg negative Konsequenzen haben kann.

 

Unsere Resultate zeigten also, dass Käfer einen Preis zahlen müssen wenn sie gezwungen werden unter heissen Bedingungen aufzuwachsen. Wir lernten aber auch, dass Mütter dem vorbeugen können, dadurch dass sie flexibel ihre Brutbälle in grösseren Tiefen unterbringen und damit ihrem sich entwickelnden Nachwuchs mildere und damit bessere Umweltbedingungen schaffen. Darüberhinaus hatten Käfer aus West-Australien eine zusätzliche, und überraschende Fähigkeit: in dieser Population allein stellten wir fest, dass Eier, die unter heissen Bedingungen gelegt wurden zu relativ grossen Käfern heranwuchsen, egal ob die weitere Entwicklung unter milden oder heissen Bedingungen stattfand. Dies deutete darauf hin, dass in dieser Population, aber nicht den anderen, heisse Bedingungen sehr früh in der Entwicklung zu einer kompensatorischen Reaktion führen, die weiteres Wachstum trotz schwieriger Bedingungen ermöglichen. Wie können wir diese Unterschiede zwischen den Populationen erklären? Wir spekulieren, dass die Interaktionen zwischen klimatischen und sozialen Bedingungen eine Rolle spielen.

 

In den östlichen USA sind Larven wegen den relative hohen Regenfällen stressvollen Temperaturen wahrscheinlich weniger häufig ausgesetzt, was den Selektionsvorteil von  Mechanismen reduziert, die es ansonsten Larven erlauben würden, den Temperaturstress zu kompensieren. Im Gegensatz dazu sind Käfer in West-Australien extrem hohen Populationsdichten ausgesetzt, und wir konnten mit früheren Arbeiten zeigen, dass dort Weibchen ihre Brutbälle oberflächlicher vergraben um Konkurrenz um Resourcen zu reduzieren. Solche Umstände können dazu führen, dass Larven in West-Australien ständig stressvollen Temperaturen ausgesetz sind, was dann die Evolution von Mechanismen fördern könnte, die es solchen Larven erlauben würde trotz Temperaturstress schnell zu wachsen. Eine andere Erklärung liegt vielleicht in zufälligen und nicht adaptiven Gründereffekten während der ursprünglichen Kolonisation beider neuen Habitate. Egal welche Erklärung zutrifft, unsere Ergebnisse zeigen, dass die Evolution von Plastizität unerwartet schnell stattfinden kann, und dass die genaue Funktion der Plastizität im Abwenden von Temperaturstress von den jeweiligen ökologischen Bedingungen abhängt, denen eine gegebene Population ausgesetzt ist. Es ist wichtig solche Flexibilität miteinzubeziehen wenn wir versuchen, den potenziellen Erfolg von eingeführten Arten vorherzusagen, oder zu bestimmen inwieweit die momentane Artenverteilung durch den Klimawandel beinflusst werden könnte.

 

 

 

 

Die Publikation finden Sie hier:
Macagno ALM, Zattara EE, Ezeakudo O, Moczek AP, Ledón‐Rettig CC. 2018. Adaptive maternal behavioral plasticity and developmental programming mitigate the transgenerational effects of temperature in dung beetles. Oikos DOI: 10.1111/oik.05215.
[pdf]

 

 

Anna Macagno
Anna LM Macagno
Senior research associate, Department of Biology, Indiana University

 

Eduardo Zattara
Eduardo E Zattara
Deputy investigator, INIBIOMA, CONICET, Argentina
Research associate, Department of Biology, Indiana University

 

Armin Moczek
Armin P Moczek
Professor of Biology, Indiana University

 

Cris Ledon-Rettig
Cris C Ledón-Rettig
Research Scientist, Department of Biology, Indiana University

 

 

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